Der Depp aus den Staaten

Gewinnend lachen kann er, der Charmeur aus L.A.! Schwungvoll und ausdauernd Autogramme schreiben ohne Frage auch. Dazu nämlich legte Johnny Depp auf dem Weg über den roten Teppich zur Premiere von „The Tourist“‚ im Sony-Center viele Zwischenstopps ein. Der Film verwöhnt die Cineasten mit traumhaften Bildern aus Venedig und schönen Schauspielern – die Handlung des Streifen ist aber leider – in bester Hollywood-Tradition – so flach wie die ostfriesischen Salzwiesen. Für Johnny hat sich die Exkursion nach Berlin – glaube ich – dennoch gelohnt. Und für Lorena – der ich dieses Foto verdanke – der Ausflug an den Potsdamer Platz auch.

Zeigt her Eure Füße!

An den Fußsohlen dieser Salsera haben heiße Rhythmen unübersehbare Spuren hinterlassen. Gesehen auf der Weihnachtsparty des Latino-Clubs „Mi Salsa“ am Richard-Wagner-Platz.

Stern(e) über(m) B…

…reitscheidplatz. Wenigstens in der Adventszeit bekommt die sich auf dem Dach des Europacenters drehende überdimensionale Ikone nicht mehr ganz junger Kfz-Fetischisten Gesellschaft von leuchtenden Himmelskörpernachbildungen, die eher das Herz als das Statusbewusstsein ansprechen.

Omas Märchenstunde (Ost)

Es waren einmal ein Ochs und ein Esel, die lebten in einem seltsamen Land direkt hinter dem eisernen Vorhang. Sie waren die Lieblingstiere von einem kleinen Mann. Der regierte zusammen mit seiner sanftmütigen Frau dieses seltsame Land. Nette Abwinker und Mitläufer und die Jungs vom Stasi-Club halfen ihnen dabei. Der kleine Mann liebte die Harmonie. Sein Traum war es, aus Ruinen etwas Großes schaffen. Er wollte, dass alle Menschen die gleichen frohsinnigen Gedanken hegen wie er und seine geliebte Frau. Aber es gab Schädlinge im Volk, die wollten nicht so wie er. Die versuchten sogar den mit soviel Hingabe gewebten eisernen Vorhang einzureißen. Also beschlossen der kleine Mann, seine Frau und die verantwortungslosen Abwinker und Mitläufer, diese ins Gefängnis zu werfen, ihnen die Kinder wegzunehmen oder – wenn es nicht anders ging – sie erschießen zu lassen. Irgendwann aber hatte das Volk soviel Werbefernsehen gesehen, dass es genug hatte von der Harmonie. Es sehnte sich nach Skandalen am Ballermann und Punkten in der Verkehrssünderkartei in Flensburg. Es rottete sich zusammen und vertrieb den kleinen Mann und seine sanftmütige Frau und all die Abwinker, die nie Verantwortung trugen, aus dem Paradies. Und weder Ochs noch Esel hielten sie dabei auf. Dem kleinen Mann und seiner sanftmütigen Frau brach dies das Herz. Viele, viele Jahre sind seitdem vergangen. Das seltsame Land gibt es nicht mehr. Doch in manchen Köpfen lebt es fort. Denn noch immer träumen die netten Abwinker und Mitläufer und ihre Freunde von der Harmonie und den Jungs vom Stasi-Club, so wie es sie einmal gab in jenem seltsamen Land. Und wenn sie nicht gestorben sind, träumen sie davon hoffentlich noch bis in alle Ewigkeit.

06/12-Gentechnologie

Da gehen auch den militantesten Gegnern der Gentechnologie die Argumente aus: man nehme das Beste aus dem Erbgut des kugeligen Genossen aus flockigem Weiß und eines mitfühlenden kleinasiatischen Bischofs im Coca-Cola-roten Gewand, mixt es (gerührt, nicht geschüttelt) und schon kommt – passend zu Wetter und Datum – diese Kreatur zum Vorschein. Der freundliche Nikolaus-Schneemann-Hybrid wurde in der Ossietzky-Straße in Pankow abgelichtet.

Berliner Weihnachtszeit

Großer Andrang heute auf dem adventlichen Jahrmarkt unterm Telespargel. Das obligatorische Riesenrad und die Eislaufbahn rund um den Neptunbrunnen haben sicherlich ihre Reize. Warme Pelze und glitzernde Weihnachtskugeln buhlen um Käufer, der aromatische Duft gebratener Mandeln und heißer Maronen erfüllt die Luft. Auch uns lockten vor allem die Aussicht auf zwei köstliche Versuchungen hierher: warmes Dresdner Handbrot und heißer Glühwein sind eine unschlagbare Kombination. Jedenfalls zur Berliner Weihnachtszeit.

Goliath

Glücklicher Goliath
In der Hand einen Besen, auf dem Kopf ein Zylinder. Zwischen seinen leuchtend blauen Augen und dem strahlenden himbeerroten Mund ragt ein langer, spitzer Gesichtserker hervor. Goliath ist ein Riese. Goliath ist ein Schneemann. Goliath erhellt die dunkelste und kälteste Winternacht. Goliath funkelt zwischen den gläsernen Häuserschluchten des Kranzler-Ecks. Goliath winkt den Liliputanern, die an ihm vorbei in Büros und Geschäfte hasten, freundlich zu. Wenn sie Goliath sehen, vergessen einige der Liliputaner für einen Moment ihre Hektik und Eile, halten für einen Augenblick inne, posieren mit Goliath für schöne Fotos. Dann ist Goliath glücklich.

Einsamer Goliath
Spät am Abend aber verschwinden die Liliputaner. Goliath weiß nicht, wohin. Obwohl er sich alle Mühe gibt, intensiver und heller leuchtet denn je, es lässt sich keiner der Menschlein mehr blicken. Nur die klirrende Kälte und der eisige Wind bleiben ihm als treue Begleiter in der langen Dezembernacht. Dann fühlt sich Goliath sehr einsam und wünscht sich, dass bald ein neuer Tag anbricht, die Liliputaner wiederkommen und ihre Augen bei seinem Anblick genauso hell strahlen wie die abertausend LEDs, die seinen riesigen Körper zum Leuchten bringen.

Frostige Pappkameraden-Karawane

Die beiden in signalorange leuchtenden BSR-Männer kämpfen tapfer gegen Kälte und Schnee und ihre widerspenstig rutschenden blauen Papp-Tonnen an. Eine winterfest eingepackte ‚Pfadfinderin‘ weist der farbenfrohen Karawane den rechten Weg zum Müllwagen – pardon Reststoffverwertungsgefährt.

Winter-Harley

Offenbar hat Väterchen Frost gleich bei seinem ersten Besuch diese Harley überrascht, ehe sie ein trockenes und warmes Plätzchen in einer Garage mit ölgeschwängert Luft ergattern konnte. Ob sie jetzt Ketten anlegt um diesem Wetter zu entkommen? Gesehen in der Uhlandstraße in Charlottenburg.

Keine weiße Fahne

Keine Aufgabe

Ihre Häuser sind zerfallen, ihr Protest verhallten ungehört oder blieben ungelesen, doch aufgeben wollten sie nie. Jetzt können die wenigen verbliebenen Bewohner der Preußensiedlung in Altglienicke aufatmen. Das in den 1920ern nach den Prinzipien der Gartenstadt unter anderem vom bekannten Architekten Herrmann Muthesius errichtete Gebäudeensemble wird jetzt umfangreich saniert. Graffiti an einer Hauswand in der Preußensiedlung.

Lesestipp: Das Gartenstadtprinzip und die Preußensiedlung

Zahnfleischbluter-Murphy

Schon früh am Sonntagmorgen wurde dieses alte Saxophon in der Schönefelder Maaßenstraße malträtiert. Sein Besitzer mag zwar auf den ersten Blick an Lisa Simpsons Idol Zahnfleischbluter-Murphy erinnern, sein elende Katzenmusik jedoch kam nicht mal annähernd an die Virtuosität des Jazz-Saxophonisten aus der Zeichentrickserie heran. Auch die Anwohner hatten bald genug von dem Gequäke, warfen zwar nicht mit Blumentöpfen sondern vertrieben das traurige Paar.

Überhaupt kein Sex-Appeal

Zum großen Stadtjubiläum 1987 hatte sich Ost-Berlin herausgeputzt. Zumindest da, wo sich die SED-Konsorten nebst geladenen Gästen herumtrieben. Wie im Nikolai-Viertel zum Beispiel, das um die alte Kirche fast ganz neu errichtet wurde. Abseits von den sozialistischen Magistralen dagegen ließen die Genossen die Stadt gnadenlos verrotten. Um so zynischer wirkt der aufgemalte Schriftzug „750 Jahre Berlin“ auf dem vergammelten Fenster an einem Wohnhaus im Prenzl-Berg. Hier präsentierte sich Ost-Berlin – in Anlehnung an ein Zitat vom heutigen obersten Partylöwen der Stadt – nur armselig und kein bisschen sexy. Bild aus meinem Fotoarchiv.

Wenn Steine weinen

Es scheint, als quellen dicke Tränen aus dem Beton und benetzen die Quader des Holocaust-Mahnmals. Kein Wunder, das Bild habe ich vorgestern aufgenommen, am Volkstrauertag, dem Tag, an dem der Toten der zweier Weltkriege und den Opfern von Gewaltherrschaft in aller Welt gedacht werden sollte.

Explodierende Seifenlaugenmembran

Sie wächst, dehnt sich aus, glänzt verführerisch, animiert zum Mitmachen. Aber irgendwann kommt der Moment, denn jeder Börsenjongleur, jeder Tagträumer, jeder Boulevardjournalist fürchtet wie der Teufel das Weihwasser: wenn die trügerischen Illusionen sich in Luft auflösen, die schmierigen Spekulationen nur ein paar Flecken auf dem Boden hinterlassen, wenn sie platzt, die riesige Blase. Am Potsdamer Platz dagegen hatten am Sonntag die Menschen viel Spaß dabei, die hauchdünnen Seifenlaugen-Membrane im lauwarmen Novemberwind fliegen und explodieren zu sehen.

Sisyphus sieht fern

Worte bewegen manchmal mehr als rohe Kraft. Zwar war das Schlussevent der Latinale 2010 mit \’Kleine Unfälle und der Untergang des Imperiums\‘ überschrieben. Aber soweit kam es gestern Abend nicht. Zwar hatten die Initiatoren dieses Festivals für lateinamerikanische Poesie im Vorfeld mit vielen Schwierigkeiten vor allem finanzieller Art zu kämpfen. Fast eine Sisyphus-Aufgabe! Aber sie hatten nicht aufgesteckt, sondern unermüdlich gearbeitet – und das anders als die Figur aus der griecheischen Mythologie mit Erfolg: die Latinale – eines der eindrucks- und ausdrucksvollsten Literaturfestivals in Berlin – konnte ihr fünfjähriges Jubiläum feiern. Ein eindrucksvolles dazu: ein gutes Dutzend Poeten aus acht mittel- und südamerikanischen Ländern präsentierten ihre kunstvollen Verse. Darunter auch der mexikanische Dichter Carlos Vicente Castro. Der ließ den Looser Sisyphus gleich vor dem Fernseher versauern. Wenn das kein gutes Omen für die Zukunft dieses einzigartigen Festivals ist.