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Potentielle Stammkneipe No. 8

Zum Magendoktor in Wedding

Die Tür steht weit offen, Gesprächsfetzen und Gelächter fliegen mir daraus entgegen. Schon freue ich mich auf das hinter dieser Pforte kredenzte Elixier aus Gerste und Malz. Im Türrahmen aber haut es mich fast um. Aus den Eingeweiden des Magendoktors schlägt mir eine Welle jenes für eine wahrhafte Kneipe so typischen Geruchscocktails entgegen, gemixt aus variierenden Anteilen von kaltem Zigarettenrauch, Bierdunst und einem breiten Spektrum menschlicher Duftnoten. Das ist zu viel für mich, es ist erst Mittag. Mein Magen beginnt zu rebellieren, er will (noch) nicht zum „Doc“. Ich muss meine Visite verschieben.

Wurmomat

Wurmomat im Wedding

An diesem bemerkenswerten Automaten kann Mann oder Frau sich ein Döschen frischer Maden ziehen. An den proteinreichen Insektenlarven halten sich dabei weniger experimentierfreudige Gourmets schadlos als Hobbyfischer, die hier am Wochenende aus dem Apparat auch dann noch Lebendköder ziehen können, wenn der benachbarte Angelladen seine Pforten geschlossen hat. Gesehen in der Tegeler Straße im Wedding.

Apokalyptischer Schwof

Apokalyptischer Schwof

Höfliche Aufforderung zum finalen Tanz.

Die Skulptur „Tanz auf dem Vulkan“ der Bildhauherin Ludmila Seefried-Matejkova steht auf dem Nettelbeckplatz. Tatsächlich speit der Krater im Sommer alle 10 Minuten eine Wasserfontäne über die ausgelassen tanzende Gruppe.

Ruhe vor dem Sturm

Die Wiesenburg im Wedding

Nachdem der Orkan „Niklas“ schon eine Menge Putz hat hinunterstürzen lassen, wird das historische Gebäude-Ensemble der Wiesenburg im Wedding, Berlins einstiges Vorzeige-Asyl für Obdachlose und Bedürftige, wohl bald von einem noch unbarmherzigeren „Wind of Change“ erfasst. Nach der umstrittenen Übernahme des Geländes durch die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft „degewo“ stehen dem geschichtsträchtigen Gelände und seinen bisherigen Nutzern wohl tiefgreifendere Umwälzungen bevor. Die Statements des nichtssagenden „degewo“-Sprechers in der heutigen RBB-Abendschau zu den Plänen des Unternehmens mit Gebäuden und Areal hatten nicht einmal den Gehalt der sonst üblichen Lippenbekenntnisse. So deutet vieles darauf hin, dass die Wiesenburg und ihre Bewohner und Nutzer sich wohl auf heftige Turbulenzen einstellen müssen.

Carglass-Substitut

Carglass-Substitut

Eigenwillige Reparaturkunst am Kraftfahrzeug. Gesehen im Wedding.

Herzenstür

Herzenstür im Wedding

Ungeöffnete Liebeserklärung im Wedding.

Finale Vorbereitungen

Finale Vorbereitungen

Gerade noch rechtzeitig zum WM-Finale kommt das neue Plasma- oder LED-Gerät wohl an. Die Last-Minute-Lieferung durchlief heute kurz vor dem Anpfiff des Endspiels in Rio den U-Bahnhof Osloer Straße.

Potentielle Stammkneipe No. 3

Zille oder Nachkriegszeit? Was letztendlich die Namensgeber dieser Gaststätte im Sinn hatten, ist nicht ganz eindeutig. Das schwofende Pärchen oben rechts deutet allerdings auf den „Pinselheinrich“ hin. Auf jeden Fall ist es ein wirklich cooler Name, viel besser als „Eulenhorst“, wie das Weddinger Kneipenoriginal bis weit in die 1980er Jahre hinein noch hieß. Mit zwei großen Eulenskulpturen über den Fenstern schufen die damaligen Betreiber, übrigens ein paar Engländer, nicht nur ein bekanntes Markenzeichen, sondern vertrieben auch lästige Tauben.

Briten, Tauben und Eulen sind heute alle weg, die günstigen Bierpreise sind geblieben. Zu meinem Leidwesen ist die „Trümmmerlotte“ aber eine reine Raucherkneipe. Der Tag ist noch lang, da verspür ich wenig Lust, die authentische „Bier-und-kalter-Rauch-Duftnote“ schon jetzt in den Kleidern zu haben. Vielleicht ein andermal.

Buggy-Parade

Buggy-Parade

Die Kinderwagen-Karawane flankiert die Auffahrt zu einer Kita in der Weddinger Wiesenstraße.

Schrippenkirche

Schrippenkirche in Berlin-Wedding

Ja, die „Schrippenkirche“ gibt es wirklich – und sie ist ein echtes Berliner Original. Ihre Ursprünge reichen zurück bis in jene Zeit, die heute als „Gründerzeit“ verklärt wird. Zigtausende strömten damals auf der Suche nach Lohn und Brot und einem kleinen Stück vom Glück ins boomende Berlin. Viele fanden jedoch sich ohne Job und Bleibe auf der Straße wieder

Wie so oft sind es einzelne Menschen, die mit ihrem Überzeugung und Enthusiasmus in solch schwierigen Phasen beginnen, für andere Brücken bauen. In diesem Fall war es Constantin Liebich, Mitglied eines evangelischen Jünglingsvereins, der zur aktiven christlichen Liebestätigkeit aufrief. Mit wenigen Spenden begann er ab Oktober 1882 sonntags Morgenandachten für Obdachlose zu organisieren. Das Besondere: jeder der kam, erhielt eine Tasse Kaffee und zwei Schrippen (Berlinerisch für Brötchen).

Detail der Skulptur an der Schrippenkirche in Berlin-Wedding

Schnell wurden diese Gottesdienste mit Frühstück unter dem Namen „Schrippenkirche“ bekannt.
Anfang des 20. Jahrhunderts gelang es Liebich und seinen Mitstreitern, die ihre Aktivitäten mittlerweile in dem Verein „Dienst an Arbeitslosen e.V.“ gebündelt hatten, durch Spenden und Schenkungen in der Ackerstraße 51/52 im Berliner Arbeiterviertel Wedding ein Vereinshaus zu bauen. Hier konnten nicht nur die hunderte von Menschen empfangen werden, die mittlerweile zu den Schrippen-Predigten kamen, sondern auch ein Heim für jugendliche Obdachlose eingerichtet werden. Der Verein schuf auch eine Arbeitsvermittlung für Arbeitssuchende.

Getreu dem Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ anzubieten, wurde aber bald eine andere Idee des Vereins zu einer Institution die „Brocke“. Werktäglich zogen Männer mit Hand- und Pferdewagen durch die Straßen Berlins und sammelten jene „Brocken“ ein, die andere nur noch entsorgen wollten. Dieser Müll wurde dann in verschiedenen Werkstätten der „Brocke“ wieder hergerichtet und dann im vereinseigenen KADEWE (Kaufhaus des Weddings) für günstiges Geld verkauft.

Ohnehin so in aller Munde, taufte sich der Verein in den 1930er Jahren in „Schrippenkirche e.V.“ um. So heißt er bis heute. Seit den 1960er Jahren ist die „Schrippenkirche“ an das Diakonische Werk angegliedert. Das alte Vereinsheim (Seitenflügel und Gartenhaus hatten den 2. Weltkrieg überstanden) bot übrigens der Weddinger Versöhnungsgemeinde, deren Kirche an der Bernauer Straße nach dem Mauerbau unzugänglich im Todesstreifen stand, ein erstes Asyl.

Heute existiert das alte Haus nicht mehr. Es fiel den Stadterneurungsmachenschaften diverser Weddinger Lokalpolitiker und Wohnungsbaugesellschaften zum Opfer. An seiner Stelle steht heute ein gesichtsloser Wohnblock. Die „Schrippenkirche“ fand gegenüber in dem Neubau „Ackerstraße 137/138“ eine neue Bleibe. Dort begrüßt heute – präsentiert auf einem silbernen Tablett – diese riesige goldbraune Schrippe die Besucher. Die Brötchen-Skulptur wurde 2007 von dem Bildhauer Martin Spengler geschaffen und soll rund fünf Tonnen wiegen.