Haarig und giftig!

Ich hatte gedacht, sie wären bereits ausgestorben. Meist versteckten sie sich unauffällig im Schatten von Hauswänden, drückten sich an eng an Mauern. Sie lockten nicht mit Blinklichtern, sie piepsten nicht und hatten natürlich auch keine leuchtende Touchscreen, die zum Befummeln einlädt. Und doch waren sie unglaublich anziehend, verbargen sich in ihrem Innern doch kostbare Schätze, an die zu gelangen trickreiche Beharrlichkeit erforderte. Mit einer Münze, einem geschickten Dreh und etwas Glück spukten sie dann blitzende Miniatur-Taschenmesser, springende Flummis oder Ringe mit Ein-Karäter-Plastik-Brilli aus. Im anderen Fall gab es nur etwas rundes süßes in Geschmacksrichtungen, die irgendwelche Lebemsmittelchemiker in Anlehnung an Apfel-, Himbeer- oder Zitronenaromen zusammengemixt hatten.

Ich traue daher meinen Augen kaum, als ich in der Amsterdamer Straße im Wedding gleich mehrere  Exemplare dieser Spezies erspähte: Kaugummi-Automaten. Mein Spross ist natürlich für den Selbstversuch sofort zu haben. Der erste Apparat erweist sich leider als Enttäuschung. Arg ramponiert und seines Inhaltes beraubt, wird sein leere Hülle als Pinnwand für toxische Mitteilungen (Hinweis auf die Auslage von Rattengift und fantastische Forderungen politischer Extremisten) missbraucht.

Das zweite Exemplar ein paar Meter weiter ist etwas besser in Schuss. Es ist sogar befüllt. Doch anders als früher sind Süßigkeiten und Spielzeug jetzt strikt getrennt. Wir wagen die 10-Cent-Investition in die „billigere“ Nur-Kaugummi-Variante. Der Schlitz verschlingt die Münze ohne sich zu verschlucken. Der Griff lässt sich problemlos drehen. Klack, etwas ist in den Ausgabeschacht gefallen.

Es ist kugelig, grün, hart … und pelzig. Wessen Fellfragmente an der Kaugummi-Kugel haften: Keine Ahnung! Der Geschmackstest entfällt. Das unappetitliche Ding verschwindet im nahen BSR-Behältnis. So vernachlässigt werden die Kugel- und Krimskrams-Kameraden nicht überleben.

Mit dir wer‘ ick Schlitten fahr’n!

Rodel-Freu(n)de: eine Clique Berliner Jören trifft sich an der Jungfernbrücke in Mitte, aufgenommen wohl im Winter 1934. (Sammlung/Archiv Sven Hoch)

Das Mädchen, der Mann und der Bär

Mädchen mit Pickelhaube, der Neider und der Bär

Ooch wenn se schon unter der Haube is, so ´nem pickligem Wonneproppen würd´ icke auch ma den Bär machen wolln!

Stösschen mit Bär

Stößchen mit Bär

Cincin! Das Quintett hat offenbar etwas zu feiern. Allerdings haben die Fünf offenbar weder einen Schluck Schampus oder einen Zug an der Kipper für das Berliner Wappentier übrig. Da kann Bär schon mal die Zähne fletschen. Das Foto entstand 1958 während der Gastwirt-Ausstellung unter dem Funkturm.

Popeline(n) mit Bär

Popeline(n) mit Bär

Gute Mine machen Berliner Bär und die beiden Models bei der Präsentation der Grau-in-Grau-Kollektion des Jahres 1960. Vielleicht sind es aber auch nur zwei Touristinnen, die sich mit ihren im Dorfladen erworbenen Einheitsmänteln und dem Berliner Wappentier – hier übrigens dargestellt von einem Knut-Vorgänger und nicht dem eigentlich authentischen Braunbär – vor den Gattern des Zoos am Hardenbergplatz ablichten lassen wollten.

Improvisationskunst

Kinder singen zum Erntedankfest 1947 in Kreuzberg

Ein Vorhang und ein Akkordeon reichen: Kinder singen und machen Theater in einer Kreuzberger Toreinfahrt während des Erntedankfests 1947. Aufnahme aus meiner Sammlung historischer Berlin-Fotos.

Damenquartett mit Bär

Damenquartett plus Bär

„Wir waren auch da, wo der Bär steppt!“ – Vier Frauen aus der westdeutschen Provinz posieren an einem sonnigen Tag vor dem Bahnhof Zoo mit ihren Täschchen und einem etwas zotteligen Vorzeigexemplar der Gattung „Berliner Bär“. (Um 1960)

Aeroplan-Anemoskop

Aeroplan-Anemoskop

Kein schnöder Luftsack oder spießiger Wetterhahn: der für die sichere Durchführung von Starts und Landungen so wichtige Windrichtungsgeber war in den Anfangsjahren des Flughafens Tempelhof als formschöner Flieger gestaltet. Die historische Aufnahme von dem eleganten Instrument entstandt um 1928. (Das Foto stammt aus meiner privaten Sammlung).

Warm Up

Warm up!

Warmlaufen vor dem heißen Rennen: dieses Mädchen und ihr bemützter Helfer gerieten im Sommer 1951 vor dem Startschuss zum Seifenkistenrennen am Mehringdamm schon mal gehörig ins Schwitzen. Hauptsponsor des mittlerweile legendären Events war damals die Adam Opel AG, die allen Teilnehmern erstmals einheitliche Radsätze für ihre schnittigen Hinterhof- und Kellerkonstruktionen zur Verfügung stellten.

Ein schreckliches Jubiläum

Kein Tag wie jeder andere, dieser 13. August 2011. Heute vor 50 Jahren wurde Berlin brutal in zwei Hälften gerissen. „Antifaschistischen Schutzwall“ nannte die spitzbärtige Sowjetmarionette und seine SED-Genossen den Wall, der Familien und Freunde für Jahrzehnte voneinander trennte. Den Wall, der ein ganzes Land zum Gefängnis machte. Den Wall, der das Todesurteil bedeutete für viele Menschen.

Kein Tag wie jeder andere, dieser 13. August. Sondern ein Tag, um innezuhalten und an das Geschehene zu erinnern. Ich möchte das mit drei Fotos tun, die mir mein Vater gemailt hat. Er hat sie im November 1961, also wenige Monate nach dem Mauerbau aufgenommen. Die Bilder zeigen die damals noch provisorisch wirkenden Grenzanlagen im Abschnitt entlang der Bernauer Straße, der den Bezirk Wedding (französicher Sektor, West-Berlin) vom Prenzlauer Berg (Sowjetischer Sektor, Ost-Berlin) trennte.

Berliner Mauer an der Bernauer Straße in 1961

Das erste Foto – aufgenommen aus dem Auto – zeigt die Berliner Mauer an der Ecke Bernauer Straße / Bergstraße von West Berlin aus gesehen. Deutlich sind zwei DDR-Grenzsoldaten oberhalb des Warnhinweises („FIN DU SECTEUR FRANCAIS“) zu erkennen.

Berliner Mauer an der Bernauer Straße in 1961

Auf dem zweiten Bild ist die damals noch improvisierte Bauweise der frühen Berliner Mauer gut sichtbar. Der Ausbau der Grenzanlagen zu jenem perfiden und tödlichen Bauwerk wie ich es in der Erinnerung habe, erfolgte erst in den 1970er/1980er Jahren.

Blick durch die Mauer auf den Sophienfriedhof II

Das letzte Bild des Trios ist durch einen Spalt in der noch unvollkommenen Mauer aufgenommen. Der Ausschnitt zeigt einen baumbestandenen Weg. Die Allee gehörte zum Friedhof 2 der Sophiengemeinde. Der Gottesacker erstreckte sich zwischen Berg- und Ackerstraße im Bezirk Prenzlauer Berg bis zur Bernauer Straße. Genau dort wurde im August 1961 die Mauer errichtet. Deutlich sichtbar sind die zusätzlichen Sperrmaßnahmen hinter der Mauer wie Stacheldraht und aufgeschichtete Betonplatten. Im Hintergrund sind wieder einige DDR-Grenzer zu erkennen.

Die Fotos erschüttern, finde ich, noch immer. Gerade heute. Denn der 13. August ist kein Tag wie jeder andere. Nicht in Berlin.

Lucky Strike

Lucky Strike

Nach dem anstrengenden Flugdienst will dieser amerikanische Berlin-Flieger nur noch eins: rein in den Käfer und ab nach Hause und die wohl verdiente Feierabend-Zigarette paffen. Die frische Stange Lucky Strike hält er schon in den Händen. Ob er sich auch eine Packung Vivil-Bonbons für den frischen Atem danach besorgt hat? Dieses Foto meiner Berlin-Sammlung wurde in den 1960ern direkt vor dem Flughafengebäude in Tempelhof aufgenommen.

Per Tram in Richtung Emanzipation

Während ihre Männer, Söhne und Väter fernab der Heimat ihresgleichen um die Ecke brachten oder selbst ins Jenseits befördert wurden, drangen Frauen, Mütter und Töchter daheim in Lebensbereiche vor, die zuvor als reine Männerdomänen galten. Mangel und Not ließ alte gesellschaftliche Tabus aufbrechen. Frauen übernahmen Aufgaben und Jobs, die man ihnen zuvor verwehrt oder nicht zugetraut hatte – wie diese Berliner Straßenbahnfahrerinnen. Das Foto – aufgenommen im Sommer 1917 während des ersten Weltkriegs – zeigt die Tramchauffeurinnen während der Mittagspause – noch misstrauisch beäugt von männlichen Kollegen. Später dann im Frieden bewahrte die Damenwelt größtenteils das einmal eroberte Terrain und ihr gewachsenes Selbstbewusstsein.

Krieg also als Emanzipationsbeschleuniger? Bleibt zu hoffen, dass da fundamentalistische Feministinnen nie in die Nähe der berühmten roten Knöpfe gelangen! Denn ich kann mir nur schwer vorstellen, dass eine alte Steinzeit-Emanze á la Alice Schwarzer der Versuchung dann widerstehen könnte.

Omas Märchenstunde (Ost)

Es waren einmal ein Ochs und ein Esel, die lebten in einem seltsamen Land direkt hinter dem eisernen Vorhang. Sie waren die Lieblingstiere von einem kleinen Mann. Der regierte zusammen mit seiner sanftmütigen Frau dieses seltsame Land. Nette Abwinker und Mitläufer und die Jungs vom Stasi-Club halfen ihnen dabei. Der kleine Mann liebte die Harmonie. Sein Traum war es, aus Ruinen etwas Großes schaffen. Er wollte, dass alle Menschen die gleichen frohsinnigen Gedanken hegen wie er und seine geliebte Frau. Aber es gab Schädlinge im Volk, die wollten nicht so wie er. Die versuchten sogar den mit soviel Hingabe gewebten eisernen Vorhang einzureißen. Also beschlossen der kleine Mann, seine Frau und die verantwortungslosen Abwinker und Mitläufer, diese ins Gefängnis zu werfen, ihnen die Kinder wegzunehmen oder – wenn es nicht anders ging – sie erschießen zu lassen. Irgendwann aber hatte das Volk soviel Werbefernsehen gesehen, dass es genug hatte von der Harmonie. Es sehnte sich nach Skandalen am Ballermann und Punkten in der Verkehrssünderkartei in Flensburg. Es rottete sich zusammen und vertrieb den kleinen Mann und seine sanftmütige Frau und all die Abwinker, die nie Verantwortung trugen, aus dem Paradies. Und weder Ochs noch Esel hielten sie dabei auf. Dem kleinen Mann und seiner sanftmütigen Frau brach dies das Herz. Viele, viele Jahre sind seitdem vergangen. Das seltsame Land gibt es nicht mehr. Doch in manchen Köpfen lebt es fort. Denn noch immer träumen die netten Abwinker und Mitläufer und ihre Freunde von der Harmonie und den Jungs vom Stasi-Club, so wie es sie einmal gab in jenem seltsamen Land. Und wenn sie nicht gestorben sind, träumen sie davon hoffentlich noch bis in alle Ewigkeit.

Überhaupt kein Sex-Appeal

Zum großen Stadtjubiläum 1987 hatte sich Ost-Berlin herausgeputzt. Zumindest da, wo sich die SED-Konsorten nebst geladenen Gästen herumtrieben. Wie im Nikolai-Viertel zum Beispiel, das um die alte Kirche fast ganz neu errichtet wurde. Abseits von den sozialistischen Magistralen dagegen ließen die Genossen die Stadt gnadenlos verrotten. Um so zynischer wirkt der aufgemalte Schriftzug „750 Jahre Berlin“ auf dem vergammelten Fenster an einem Wohnhaus im Prenzl-Berg. Hier präsentierte sich Ost-Berlin – in Anlehnung an ein Zitat vom heutigen obersten Partylöwen der Stadt – nur armselig und kein bisschen sexy. Bild aus meinem Fotoarchiv.

Der Sport-Scheitel

Eine entscheidener Moment im Wett-Hockeyspiel zwischen Berlin und München. Das am 28. Dezember 1913 ausgetragene Match zwischen Pruzzen und Bajuwaren endete schiedlich friedlich 2:2 unentschieden. Auf Berliner Seite kämpfte auch der Preußen-Prinz Sigismund - mit sicher ebenso perfekt gezogenem und gegeltem Scheitel wie bei zwei der drei Sportkameraden in der Mitte des Fotos.